Vor ein paar Wochen kam ein Päckchen in den Wald. Für mich. Carsten öffnete es versehentlich und war drei Sekunden lang völlig irritiert. Sein Gehirn konnte im ersten Moment überhaupt nicht identifizieren, was das für ein Ding sein sollte, das da vor ihm in der Schachtel lag.
Dann machte es Klick und er erkannte das zunächst unbekannte Objekt als die Ballbrause, von der ich ihm erzählt hatte.
Für all diejenigen, die nicht viel mit Garten und Gemüseanzucht am Hut haben: Es handelt sich um eine Art Miniaturgießkanne mit besonders feinen Wasserstrahlen, deren Ball (siehe Bild) sich selbst via Unterdruck und physikalischen Gesetzmäßigkeiten auftankt, wenn man den Gießkopf unter Wasser hält.
Durch Carstens temporäres Unvermögen das Objekt sofort als das auszumachen, was es ist, fiel mir eine Begebenheit aus meiner Studienzeit ein.
Ich traf einen Mann auf einer Party, der mir total bekannt vorkam. Aber ich konnte ihn einfach nicht zuordnen. Endlich, etwa eine Stunde später, fiel der Groschen. Als Kellner in einer Bar hatte er mir schon oft einen Drink serviert, allerdings stets im gebrandeten, weißen Arbeitsoutfit. Auf der Party trug er natürlich seine eigenen Klamotten.
Das Gehirn, ein faszinierendes Organ
Ich fand das damals wie heute sehr lustig. Als ob jemand für mein Gehirn nur in einem bestimmten Umfeld existieren kann… Dieses faszinierende Organ ist manchmal eben auch ein bisschen stumpfsinnig, versucht es ja stets, Aktuelles mit Vergangenem abzugleichen. Das ist ja eigentlich auch gut so, schützt es mich doch (hoffentlich) davor, die gleichen Fehler wieder und wieder zu begehen. Aber manchmal ist genau das eben auch ein bisschen schwerfällig und unkreativ.
Mich öfter mit Neuem auseinanderzusetzen - Rezepte, Menschen, andere Länder, andere Sitten, moderne Kunst, vielleicht mit einer schwierigen Musikrichtung oder eben mit einem unbekannten Objekt, wie der Ballbrause 🙂 - hält mich auf Trab und meine Gehirnwindungen geschmeidig. Dass das auch mal unbequem und anstrengend sein kann, ist klar. Ich muss mich darauf einlassen, muss meinen Blickwinkel aufspannen, meinen Geist öffnen, meine Denkmuster und Gewohnheiten überprüfen. Muss eine Weile über das Neue nachdenken, um es nachzuvollziehen, zu erkennen, zu verstehen. Und wenn ich dann sogar noch den Anstoß bekomme, meine eigenen Verhaltensweisen, meine Muster zu überprüfen, dann wird’s richtig heikel…
Schlürfige Strohhalmgeräusche aus der Vergangenheit
Vor ein paar Tagen ging ich dann mit meinem neuen Bräuschen ins Gewächshaus. Ich säte ein paar Samen aus. Tomaten, Gurken, Zucchini, Salat, Sonnenblumen, Basilikum. Von Letzterem extrem viel, weil ich im vergangenen Jahr zum ersten Mal ein unwiderstehliches Pesto ausprobiert hatte, das mit selbst angebautem Basilikum einfach noch so viel besser schmeckt und dass ich dieses Jahr am liebsten jeden Tag essen will :).
Ich füllte einen kleinen Eimer mit Wasser, drückte auf den weichen Gummiball der Brause, tauchte den Kopf ins Wasser und hörte ein Geräusch. Ein Geräusch, das so sehr meine Kindheit war, das ich gleichzeitig weinen und lachen musste. Dieses Geräusch, wenn man die letzten Reste eiskalten, etwas zu süssen Kakaos mit dem Strohhalm aus einem Tetrapak saugt.
Ich richtete mich auf, sah mich plötzlich allein mit dem Tetrapak-Kakao auf einem sonnigen Schulhof in der Kleinstadt stehen, hörte den schlürfigen Sound des Strohhalms, der nach den süssen Resten sucht und fühlte mich kurz wieder so allein und so unzugehörig wie damals.
Dann reichte mein Ich von heute diesem einsamen Mädchen von damals die Hand und wir kehrten zurück ins Gewächshaus, zurück ins Jetzt, zurück zu der Ballbrause, die dieses kleine Mädchen und diese erwachsene Frau plötzlich unglaublich komisch fanden. Und ich dachte, wie schön es ist, dass mein Gehirn Vergangenes mit Aktuellem abgleicht und dass ich allein dafür verantwortlich bin, immer genug Raum für Neues bereitzuhalten.
Schon interessant, was so ein simples Utensil alles in einem auslösen kann…
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